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Stadtentwicklung: Wiener Neustadt zwischen Historie und Erneuerung

Über die verantwortungsvolle Aufgabe, Historisches zu erhalten und Zukünftiges zu formen

Dieser Artikel wurde vor 7 Jahren veröffentlicht.

Wiener Neustadt Brauhof / Foto: Robert Mayer / WN24
Foto: Robert Mayer / WN24

Die “Zerstörung der Stadtmauer” in Wiener Neustadt schlug hohe mediale Wellen. Für viele kam die offizielle Stellungnahme der Stadt viel zu spät. Schon längst waren die, meist von sozialen Medien geprägten, Meinungen fest eingefahrenen, die Schuldigen waren gefunden und der Untergang der Kultur bereits besiegelt.

Die “Zerstörung der Stadtmauer” in Wiener Neustadt schlug hohe mediale Wellen. Für viele kam die offizielle Stellungnahme der Stadt viel zu spät. Schon längst waren die, meist von sozialen Medien geprägten, Meinungen fest eingefahrenen, die Schuldigen waren gefunden und der Untergang der Kultur bereits besiegelt.

In einer Zeit, in der sich Wiener Neustadt auf die Landesaustellung vorbereitet und touristisch (neu) positionieren möchte, stellen sich viele Fragen: Wie viel darf Erneuerung? Wo sind die Reibungspunkte zwischen Historie und Tourismus? Was darf adaptiert werden? Wir haben nachgefragt.

Städte sind keine Museen

Zur Frage der Erneuerung meint Michael Rosecker (Historiker, Philosoph und Bereichsleiter am Dr.-Karl-Renner-Institut): “Städte sind historisch gewachsene hochaktive Lebensräume und spiegeln soziale, wirtschaftliche und politische menschliche Gestaltungskraft und geschichtliche Dynamik wider. Sie sind im gewissen Sinne ‘lebendige’ Denkmäler. Erst recht Städte wie Wiener Neustadt, die besonders im Fokus gesellschaftlicher Umbrüche standen (Grenz- und Handelsstadt, immer Stadt der Zu- und Abwanderung, Industrialisierung etc.). Gerade weil sie ‘lebendige’ Denkmäler sind, dürfen sie auch keine ‘eingefrorenen’ Museen werden. Bewahrung und Erneuerung sind zu vereinen, obwohl sie sich oft widersprechen. Auf Grund der massiven Zerstörungen im Zweiten Weltkrieg ist in Wiener Neustadt dieses Verhältnis besonders heikel.”

Michael Diller-Hnelozub (Grüne Wiener Neustadt): “Besonders die durch Kriegsbomben schwer gezeichnete Innenstadt darf sich keine Fehler beim Denkmalschutz leisten. Historische Bausubstanz braucht kreative Lösungen – es darf nicht 0815-Standard gebaut werden. Das kostet etwas mehr, erzeugt im Gegenzug einzigartigen Charme, der sich touristisch lohnt. Denn gut in Szene gesetzte alte Mauerwerke oder Gewölbe sind ein spezieller Blickfang! Deshalb muss die entstandene Lücke in der Stadtmauer bis zur Landesausstellung wieder geschlossen werden.”

Konservieren oder adaptieren?

Architekt DI Peter Übersberger, mit koup architekten ZT gmbh für die Neugestaltung von Stadtmuseum und St. Peter an der Speer verantwortlich, meint dazu: “Da ein Denkmal ein geschichtliches Zeugnis darstellt, gilt es bei der Konservierung und Erhaltung darauf zu achten, dass die geschichtlichen Ereignisse nicht negiert werden.  Zeitgenössische Ergänzungen und Weiterentwicklungen zeugen von wirtschaftlicher und politischer Präsenz, Kulturschaffen und einem erfrischendem öffentlichem Diskurs. Das Abwägen der anzuwendenden Methodik soll ausschließlich durch Fachleute, weil diese unabhängig von politischem, wirtschaftlichen oder gesellschaftlichem Einfluss arbeiten, erfolgen.”

“Natürlich muss gesellschaftlichen Errungenschaften des 20. Und 21. Jahrhundert Rechnung getragen werden. Barrierefreiheit und Nutzungsmöglichkeiten, die dem heutigen gesellschaftspolitischen Anspruch im Sinne der Gleichberechtigung für Menschen – zum Beispiel mit Behinderungen – entsprechen, erlauben behutsame Eingriffe in Denkmäler. Die Nutzungssicherheit der Gebäude und Denkmäler den aktuellen gesetzlichen Bestimmungen ist möglichst nahe zu kommen, die Standsicherheit der Gebäude muss gewährleistet werden. Ergänzende Maßnahmen sollen sich von der bestehenden Komposition abheben […] – es soll zu keiner Verfälschung des Bestandes kommen.”, ergänzt Architekt Übersberger.

“Disneyland ökonomischer Interessen”

Zum Thema Spannungspunkte zwischen Tourismus und Denkmalschutz meint Michael Rosecker: “Ja, natürlich gibt es negative Berührungspunkte. Zum Beispiel wenn das geschichtsträchtige Vergangene unter dem Deckmantel ‘Erhaltung’ so zugerichtet werden soll, dass es touristischen Anforderungen entspricht. Dann wird aus dem erhaltenswerten Alten ein Disneyland ökonomischer Interessen und somit sinnentleerte Staffage. Warum? Tourismus will oft Vergangenheit als Inszenierung von Idyll der guten alten Zeit. Das ist verständlich, aber falsch. Geschichte als Darstellung menschlichen Lebens ist kein Idyll!”

In welchen Situationen darf Historisches entfernt, reduziert, rückgebaut werden? “Zum einen hat der Denkmalschutz hier klare Antworten bei explizit geschützten Objekten bzw. Ensembles. Es ist ja nicht alles Alte geschützt bzw. schützenswert. Eine Faustregel für sinnvolle Städteplanung ist: Nicht in Gebäuden denken, sondern in Straßen- und Platzräumen!”

Behutsame Weiterentwicklung

Architekt DI Peter Übersberger sieht keine wertige Alternative zur urbanen Weiterentwicklung: “Die behutsame Weiterentwicklung von Gebautem aber auch historisch wertvollem Gedankengut, zum Beispiel in Form von Literatur oder Musik, zeigt von einer pluralen Gesellschaft und einem gesunden demokratischem Grundverständnis.”

“Für die Zukunft sollte bei denkmalgeschützten Bauten die Öffentlichkeit stärker miteinbezogen werden. Es braucht Transparenz bei Bauwerbern, Architekten, Behörden; wer entscheidet und nach welchen Kriterien? Verhandlungen sollten öffentlich stattfinden, damit die Menschen nicht wie in der Vergangenheit vor vollendeten Tatsachen stehen.” wünscht sich Diller-Hnelozub abschließend.

Eine Anfrage an den Wiener Neustädter Denkmalschutzverein blieb leider unbeantwortet.

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